Montag, 29. Oktober 2012

Meine Jungs

Da ich schon von einigen Leuten gefragt worden bin, was denn bei mir im Heim eigentlich so für Jungs leben, woher sie kommen und wie sie ausgewählt werden, dachte ich mir, ich widme dem Thema mal einen ganzen Eintrag. Ich glaube, das ist für alle interessant!

Wie kommen die Jungs in das Boys Home?
Jeden Juni, wenn die Schule wieder anfängt, schicken unsre franziskanischen Father Ausschreibungen an verschiedene Gemeinden, in denen sie von dem Boys Home berichten. Dadurch erfahren die Menschen von dieser Einrichtung.
Im Boys Home werden nur Jungs angenommen, deren Eltern zu arm sind, um ihr Kind in eine normale, öffentliche Schule zu schicken. Einige Familien sind sogar so arm, dass sie nicht einmal ein eigenes Haus oder eine Wohnung besitzen. Es gibt allerdings auch Ausnahmen, wie den gerade 10 gewordenen Nikhil, dessen Familie zwar genug Geld für die Schule hat, allerdings so weit von der nächsten Stadt entfernt wohnt, dass Nikhil dort alleine in einem Hostel wohnen müsste (wofür das Geld dann auch nicht reicht).

Woher kommen die Jungs?
Unser Heim hier in Kochi hat einen so guten Ruf, dass die Jungen von weit her kommen. Der 12-jährige Sofin zum Beispiel kommt aus Trivandrum, ganz im Süden von Kerala (9 Stunden Zugfahrt!). Er kann nur während der großen Ferien nach Hause fahren, da seine Eltern sich die sonstigen Fahrten nicht leisten können. Sein Vater arbeitet bei einem Fischereibetrieb hier in der Nähe und kommt somit regelmäßig nach Kochi, Sofin besucht er aber nie.. Man merkt, aus was für einer Familie der Junge stammt!
Es gibt aber auch einige, die in Kochi und Umgebung wohnen. Oft ist es für die Eltern leichter, einfach die Verantwortung an andere – in dem Fall den Fathers – zu übergeben. Wenn die Jungs nicht im Boys Home leben und arbeiten würden, wären sie zu Hause sich selbst überlassen und würden so schnell auf die schiefe Bahn geraten.

Aus welchen Familien stammen sie?
Wie ich ja schon vorher erwähnt habe, kommen unsre Jungs aus sehr armen Familien. In vielen Fällen ist der Vater Alkoholiker und die Mutter schafft es nicht, sich allein um ihre Kinder zu kümmern. Viele Jungs leben auch nur bei der Mutter, da ihr Vater gestorben ist. Edwins Vater ist zu Beispiel vor ein paar Jahren in einem See ertrunken (er hat bei einem Kopfsprung die Metallstange im Wasser nicht gesehen.. den Rest erspar ich euch). Father Shaju meinte, er habe Edwin noch nie danach gefragt, aber er glaubt, der Junge habe den Tod seines Vaters beobachtet. Edwin soll sehr an seinem Vater gehangen haben und seine Mutter ist unglaublich froh, dass er inzwischen wieder lachen kann.
Stephins Vater ist bei einer Schießerei ums Leben gekommen, keiner weiß die genauen Hintergründe dazu.
Amal, ein anderer Junge aus dem Boys Home, hat noch beide Elternteile. Er hat einen Bruder mit einer leichten geistigen Behinderung der ihn anscheinend hasst. Laut Shaju würde er Amal umbringen wenn er daheim leben würde.. Die Mutter ist mit der ganzen Situation völlig überfordert und hat keine andere Möglichkeit gesehen, als Amal ins Boys Home zu schicken.

Ist das Verhalten der Jungs davon beeinflusst?
Wenn man solche Geschichten über die Jungs kennt ist es immer wieder erstaunlich und auch sehr berührend, wie liebevoll und brüderlich sie miteinander umgehen können. Sie helfen sich gegenseitig bei den Hausaufgaben, trösten sich, kuscheln und necken sich gegenseitig.
Andererseits ist es erschreckend anzusehen, mit welcher Skrupellosigkeit zwei 12-jährige Jungs aufeinander losgehen können und sich ohne jegliche Hemmungen prügeln oder dem anderen an die Gurgel gehen. Hier merkt man, dass sie wohl nicht so ein liebevolles und schönes Zuhause haben, wie wir es aus Deutschland kennen.
Auch an der Tatsache, dass die Jungs uns ständig nach Geschenken fragen, ob einen unserer Stifte, ein Heft oder Schokolade und ihre Freude über Kleinigkeiten, wie beispielsweise einen Luftballon, sind Hinweise auf ihre ärmlichen Familienverhältnisse.


Ich kann nur sagen, dass mir die Zeit mit MEINEN Jungs echt Spaß macht! Ich werde hier vielleicht nicht große Projekte starten, den Jungs perfektes Englisch beibringen oder Wunder bewirken. Stattdessen möchte ich den Jungs eher eine Art große Schwester sein, ihnen Zuneigung schenken, sie ein bisschen bemuttern, necken und mit ihnen Spaß haben. Einfach versuchen, ihnen die Liebe zu geben, die sie sonst nicht bekommen.
Ich glaube immer noch fest an den Spruch:
Viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern!

Ganz liebe Grüße ins kalte Deutschland,
Lea :*

1 Kommentar:

  1. Hallo Lea,

    ich finde es schön, wie sensibel Du die Jungs und deren Geschichten betrachten kannst und sich in sie hineinfindest. Und ich glaube, dass Du ein ganz wichtiger Baustein für ihr Heranwachsen sein wirst!!!

    Liebe Grüße vom PATENONKEL aus dem Rheinland, der gerade Besuch von deine Papa hatte :-)

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